Mein Bruderherz

Mein Bruder war anfangs leider weniger angetan von mir.
Auf die Frage einer Verwandten, ob er nicht absolut begeistert wäre, dass er zu seinem 2. Geburtstag ein so liebes Geschenk (sie meinte MICH!) bekommen hätte, antwortete er nur lapidar: “a Maschinengwehrl wär ma liaba gwesn“.
Im Laufe der Zeit fand er aber heraus, dass eine kleine Schwester doch nicht so übel war und man mit ihr sogar eine Menge Spaß haben konnte.
Den hatte er dann auch.
Besonders gefiel ihm, mich in der Wiege hin- und herzuschaukeln, bis ich glucksende Geräusche von mir gab.
Das war allerdings meist nicht das einzige, was ich von mir gab.
Meine Seekrankheit wurde mir also quasi in die Wiege gelegt (und hat mich leider bis heute nicht wieder verlassen).
Mein Bruder war es auch, der mir das Krabbeln beibringen wollte.
Mit der Betonung auf „wollte“ – also gekrabbelt bin ich schon – allerdings RÜCKWÄRTS.
Sämtliche Versuche, mir das Vorwärtskrabbeln beibringen zu wollen, scheiterten kläglich.
Mein Bruder und ich verstanden uns von nun an immer besser, auch wenn wir nicht wirklich viel gemeinsam hatten.
Wir waren sowohl äußerlich (er: braune Haare, braune Augen, dunkler Teint – ich: blonde Haare, blaue Augen, heller Teint) als auch charakterlich (er: brav, folgsam, strebsam – ich: das Gegenteil!) sehr unterschiedlich.
Noch dazu war ich eine typische kleine Schwester, soll heißen: voll nervig und kratzbürstig.
Kratzbürstig im wahrsten Sinne des Wortes.
Mein Bruder hat heute noch ein Andenken von mir auf seiner rechten Wange, das aussieht wie ein „Schmiss“ (das fand er insbesondere während seines Studiums extrem lustig…).
Er hatte wirklich kein leichtes Leben mit mir (aber ohne mich wäre es schließlich auch fad gewesen…).